Ein Longread über Longreads. Die Kunst des Schreibens langer Texte

Können Sie auch so schnell und so viel wie möglich Anschläge in die Tastatur „hauen“? Gut, dann haben Sie die besten Voraussetzungen einen Longread zu schreiben!

Longread Leserin. (c) Bildquelle: flickr / Gubatron / CC BY 2.0
 

Spaß beiseite. Schreiben Sie dann auch noch so, dass Leser sich Texte von 5000 Wörtern durchlesen und immer mehr möchten, dann können Sie zum bestdotiertesten Content-Schreiber werden.

Es geht natürlich nicht um die Anzahl der Worte und auch nicht darum, das passende Bildmaterial zum Text zu finden und auch nicht nur darum, die Wünsche der Zielgruppe vorauszusagen und im Text genau zu treffen, und nicht darum, eine neue Konversionsformel zum Verkaufen zu erfinden. Es ist das ehrgeizigste, anspruchsvollste und das herausforderndste Content-Format überhaupt. Und Longreads sind etwas anderes, als der Großteil heutiger Autoren denkt.

1. Dies ist das beste Format als langfristige Investition in Content

Ist der Longread einmal erstellt, wirkt er für einen ganz langen Zeitraum.

Rein formal gesehen ist das sperriger Content, der ab einem Umfang von 1200 Wörtern (oder 8000 Zeichen) als Longread bezeichnet wird. Fast immer gespickt mit guten Texten, Fotos und/oder interaktiven Inhalten. Aber alleine der Umfang ist nicht das Ausschlaggebende. Man kann die Bilder entfernen oder den Text auf weniger als 1200 Wörtern reduzieren, es bleibt aber ein Longread. Nimmt man dem Longread jedoch seine Tiefe und den Anspruch, ist es kein Longread mehr. Nicht umsonst wird Longread auch „deep read“ im englischsprachigen Raum genannt.

Dieser Text ist in der Lage die Aufmerksamkeit des Publikums von 10 bis 40 Minuten zu halten. Und das ist in den Zeiten, wo Contentschreiber allerorten sagen, dass die Aufmerksamkeitsspanne immer mehr abnimmt und man Leser mit immer kleineren Einheiten bedienen muss. Das mag grundsätzlich auch seine Bedeutung haben, aber funktioniert anders! Dabei spielt es auch keine Rolle, ob ein Longread sich als Teil des Content Marketings sieht oder rein journalistisch.

Longread = Journalismus?

Longread = Journalismus? (c) Bildquelle: flickr / Alex Steffler / CC BY 2.0

 

Journalisten haben schon immer in den journalistischen Darstellungsformen auf Longread in Papierform gesetzt. Das hat sich auch im Grunde durch fast alle journalistischen Darstellungsformen gezogen. Durch Aufkommen des Internets schien plötzlich alles anders zu werden – anfangs waren da keine technischen Möglichkeiten einen langen Text darzustellen.

In der Zeit des ursprünglichen HTML sahen Inhalte so aus: blauer Hintergrund mit funkelnden Sternen, ein hellgrüner Titel und, natürlich, eine rosa Comic Sans als Schriftart. Über welche Leseerfahrung und 1.200 Worte könnte man damals sprechen? Man nahm einen dicken Stapel von Papier und hat die Bücher ausgedruckt, die man im Internet fand – nur so könnten sie überhaupt gelesen werden.

Und dann kam HTML5. Es folgte eine Verlagerung hin zum Digitalen und eine Anpassung an die Bedürfnisse des Marketings. In der Zeitperiode vom Erscheinen des HTML5 bis heute, gab es zwei wichtige Longreads, die exemplarisch für diese Inhaltsdarstellung stehen.

Snow Fall

Im Jahr 2012 veröffentlichte das Team der New York Times multimediales Material von Skisportlern, die in einem Schneesturm gefangen waren. Das läutete gewissermaßen eine neue Form der Darstellung ein, von der man sicherlich auch noch in Jahren an den Unis und bei Medienschaffenden sprechen wird, so wie man ihnen früher über Marshall McLuhan Konzepte diskutiert hat.

 

Ein Haus in Detroit für 500 US-Dollar

Ein zweites Beispiel für einen Wendepunkt im Leseverhalten und insbesondere beim Longread, stellt ein sehr populärer Longread-Text dar, der von Buzzfeed publiziert wurde: „Warum ich in Detroit ein Haus für 500 US-Dollar gekauft habe.“

Why I Bought A House In Detroit For $500

Why I Bought A House In Detroit For $500. Quelle: https://www.buzzfeed.com/drewphilp/why-i-bought-a-house-in-detroit-for-500

 

Im Jahr 2014 veröffentlichte man bei Buzzfeed die Geschichte eines Mannes, der bei einer Auktion ein Haus in einem Brennpunkt der Stadt gekauft hatte, in der man sich als Weißer eher nicht blicken lassen sollte. Bis März 2017 konnte man alleine mit diesem Longread fast 1,8 Millionen Leser locken! Die Anzahl der Views steigt von Mal zu Mal weiter und der Text hat in der Zeit nichts von seiner Relevanz verloren. Diese Art von Content lebt gewissermaßen immer weiter.

Was ist daran so wichtig?

Der Longread-Beitrag über den Schneesturm in den USA der New York Times umfasste 18.000 Zeichen, der Beitrag über den Hauskauf in Detroit 35.000 Zeichen. Interessant ist dabei auch der Umstand, dass der Text über das Haus im Detroit von mehr als der Hälfte der Leser über ein Smartphone abgerufen wurde.

Hier ist ein sehr wichtiger Punkt. Der erste Text „Schneesturm“ der New York Times sollte daran erinnern, dass eine erfolgreiche Erstellung von Inhalten auch immer eine Schnittstelle zum Journalismus darstellt. Sie spiegelt ein breites Spektrum und hilft dadurch dem Leser ein Thema erst zu erfassen. Das ist auch ganz wichtig, dass hier die Handschrift des Autors erkennbar wird. Nur über ein gutes Layout und gute Bilder, wird kein schlechter langer Text zu einem Longread.

Der Hauskauf-Text beweist, dass auch die Leute, die gewissermaßen Einweginhalte von Buzzfeed gerne konsumieren, dennoch bereit sind auch lange Texte zu lesen. Die Menschen haben eine Vorliebe für Geschichten, und das Geld, das für Content bezahlt wird, kann und soll als langfristige Investitionen angesehen werden und nicht nur als Taschengeld.

Longread – Longlasting

„Longread Content lebt länger“. Frei nach diesem Motto, sollte man auch die doch in der Erstellung aufwändigeren Beiträge sehen, die nicht von jedermann zu schreiben sind, weil es bei weitem auch nicht jeder kann. Da erübrigt sich schnell die Frage danach, worin man sein Budget besser verwenden soll: Social Media, Landingpages, Infographiken oder was auch immer – das hat man bereits seit Langem satt.

Eines ist klar, Longread lebt lange und stellt eine der nachhaltigsten Wege dar.

Das ist so, denn ein gutes Design und Journalismus werden immer seine Berechtigung haben. Der Wunsch, ein Mitgefühl für irgendwelche Geschichte zu haben wird auch morgen da sein. Dies sind die Dinge, auf denen ein Longread basiert und sie bekommt man nicht satt. Deshalb sollten hier auch der Longread als langfristige Investition gesehen werden, die auch den Mehraufwand mehr als wettmachen.

2. Longreads liest man wirklich bis zum Ende, komplett, selbst mit dem Smartphone

Die Geschichte über den Hauskauf in Detroit ist einmal mehr ein Beispiel dafür, dass mobile Nutzer nicht nur die kurzen Texte bevorzugen. Die langen Artikel die von 2006 bis 2008 extra von den Bloggern Leo Babauta und Steve Pavlina, die auch einen Maßstab für die Qualität der Inhalte gesetzt haben, „rebellierend“ kultiviert wurden, gehören heute zur Normalität. Heute haben User keine Berührungsängste mehr vor lange Beiträgen, die man über das Smartphone lesen kann.

Das Leserverhalten mobil, immer und überall!

Das Lesen von einem Desktop wird ganz anderes als das Lesen von einem Handy wahrgenommen. Das erste geht langsam vorbei, wobei das zweite fliegt. Die Zeit, die wir mit einem Smartphone verbringen ist entweder unsere Freizeit oder die gezwungene Wartezeit – wir lesen Beiträge im Zug, in der Badewanne, im Kreißsaal oder Ehebett. Wir ruhen dabei aus, und wir sind nicht besorgt, dass wir diese Zeit nicht effektiver genutzt hätten.

Smartphonelesen

Beim „Smartphonelesen“ sind die Zeilen kürzer und, im Vergleich zu einem Desktop, sind nur wenige Augenbewegungen notwendig. Wenn wir den Text öffnen, wissen wir, dass er lang ist, wissen aber nicht, wie lang, und wir beginnen es langsam zu lesen.

Scrolling down the Smartphone. (c) Bildquelle: flickr / uditha wickramanayaka / CC BY 2.0
 

Der Text vom Smartphone wird oft als interessanter wahrgenommen, als von einem Desktop – das ist einfach auf den verschiedenen Lesemustern begründet.
Das Lesen bis zum Ende ist auch deshalb eine Frage von Inhalt und nicht von der Größe. Und auch natürlich von der Form, in der der Inhalt platziert ist. Eine bessere Strukturierung des Textes und die Verbesserung des Layouts erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Text bis zum Ende gelesen wird.

Es gibt nur drei Grund-Prinzipien beim Longread:

  • Denken Sie an den Leser (arbeiteten Sie am Sinn des Textes);
  • Denken Sie an die „Beurteiler“ (arbeiten Sie an Struktur und Überschriften);
  • Denken Sie an Quer-Leser (arbeiten Sie am Layout);

Die Leser sehen zuerst den Titel, öffnen den Text, lesen einige Worte. Ziehen Sie hier schon den Leser in den Text und wecken das Interesse, ist die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass der Text bis zum Ende gelesen wird.

Beurteiler sind schon die erfahrenen Leser, die zuerst alle Titel und Untertitel scannen um festzustellen, ob der Beitrag etwas Neues oder Wertvolles in sich hat, und erst dann entscheiden Sie ob man den Beitrag lesen soll.

Quer-Leser sind die Leute, die den Beitrag ganz schnell scrollen und nur einige Textstücke kurz lesen, die sie interessiert haben. Im Gegensatz zu den Beurteilern, die den Beitrag mit dem ganzen Material vergleichen, was sie vorher gelesen haben, wirken der Quer-Leser impulsiv. Sie haben ein kleines Fenster der Aufmerksamkeit, und wenn da nichts Interessantes präsentiert wird, verlassen Sie den Beitrag. Interaktiver Inhalt und gutes Layout helfen solche Leser zu halten.

Wenn Sie auf allen drei Ebenen arbeiten, werden Sie Leser halten.

3. Nicht geschafft zu lesen? War auch nicht nötig

Longread ist ein gutes Format, um im Zeitalter der schnellen Inhalte und Kätzchenbilder, einen Kontrapunkt zu setzen. Das ist deshalb so wirkungsvoll, da das Publikum ein enormes Interesse an langen Geschichten mit guten Informationen hat. User sind von belanglosen Inhalten überlastet.

Es wäre irreführend, zu sagen, dass Longread nicht funktionieren, weil Ihre Zielgruppe keine langen Texte liest. Es wird immer Menschen geben, die „zu lang“, „will nicht lesen“ als Kommentar setzen werden. Sie spiegeln aber nicht die objektive Realität wider.

Wenn Leser es nicht geschafft haben bis zu Ende zu lesen und die Statistik es bestätigt hat, ist alles nun von Ihnen abhängig. Das kann kein Grund dafür sein, dass Sie langen Content nicht mehr zu publizieren, sondern ein Grund nachzuprüfen, warum die Leser es nicht lesen wollen. Gründe dafür können sein, dass Leser nicht der Zielgruppe entsprechen oder beispielsweise der Longread-Beitrag langweilig geschrieben wurde. Auch die grafische Aufmachung kann hier eine maßgebliche Rolle spielen.

Langweilig

Langweilig. (c) Bildquelle: flickr / Torben Pedersen / CC BY 2.0

 

Es gibt sie dennoch, die Leser, die prinzipiell so gut wie nie zu Ende lesen. Pendelt sich das bei einem Wert von 35 Prozent ein, ist das ein ausgezeichnetes Ergebnis. Aber das alles bedeutet nicht, dass ein Longread hier seine Wirkung nicht zeigt. Sogar die Leser, die den Text nicht zu Ende gelesen haben, teilen ihn in sozialen Netzwerken, setzen Lesezeichen oder künftige Beiträge abonnieren. Sie erinnern sich an diesen Text und beurteilen Sie im Zusammenhang mit diesem Text:

  • Oh, dieses Unternehmen weiß ja was es macht, es schreibt ja nicht so einen langen Text einfach so!“
  • „Hab es nicht komplett gelesen, aber mag es“ – Longreads assoziieren mit dem Wert, Nutzen und Qualität

4. Beste Seiten

Longread funktioniert besser als alle anderen Texte, die Unternehmen über sich verfassen.
Schon einige Jahre gehen Besucher auf „Landing Pages“ – es scheint, als ob es hier keine Alternative dazu gibt. Es kann aber sein, dass ein Begriff „Power Page“ in ein paar Jahren auch im deutschsprachigen Raum öfters zu hören sein wird – eine Seite, die eigentlich ein Longread ist, die dafür gemacht ist, um aus Lesern Käufer zu machen, ohne direkt etwas zu verkaufen.

Longread sind Beiträge, die sehr stark den Leser ansprechen und einen längeren Effekt haben. Dieser Effekt wird durch zwei Dinge erzeugt: die Geschichte selbst und durch deren virales Potenzial. Geschichten lassen den Leser selten gleichgültig und die der Business-Welt wirken sie wie ein „Gespräch“ mit einem potenziellen Kunden. Die werden auch gerne weiter geteilt.

Longread versucht nicht direkt zu verkaufen, deswegen baut er ein Vertrauen auf. Er fängt die Aufmerksamkeit des Lesers auf der instinktiven Ebene.

Er hat ein hohes virales Potenzial. Er wirkt für eine lange Zeit – ein Jahr oder mehr.

5. Longreads schaffen es einfacher, bekannt zu werden

Die Vermarktung der Inhalte ist wichtig und erfordert einiges an Aktionen. Jedoch wird ein Typ von Content sich ab einem Punkt selber vermarkten, während anderer Content auf der Stelle tritt.

Es gibt mehrere Gründe, warum Longreads es so leicht schaffen. Zum einem liegt das daran, dass Longread zu schreiben Geschick erfordert und eine geschickt geschriebene Story ist zum Erfolg im Social Media verdammt.

Ein weiterer Grund besteht darin, dass ein Longread häufig nicht auf einmal komplett zu lesen ist, schlich seiner Größe wegen. Man teilt es mit den anderen oder speichert den Link auf Facebook, um mit dem Lesen fortzufahren, wenn man wieder Zeit dafür hat.

Longreads bieten einen Kontrast zu weit verbreiteten Beiträgen wie z.B. „12 Geheimnisse für Erfolg von Texten für soziale Netzwerke“ und ähnlichen Copy-Paste Texten.

Über Longread wird Vertrauen aufgebaut. Dabei spielt die Zeit, die der Leser eines Longreads auf der Site verbringt, auch eine maßgebliche Rolle für die Suchmaschine. Je mehr Zeit ein User auf einer Website verbringt, desto mehr Relevanz hat die Site aus Sicht der Suchmaschinen (siehe Nutzerverhalten Faktoren). Statt hier die Aufmerksamkeit des Lesers hier zehn Mal zu locken und kleine belanglose Texte lesen zu lassen, baut der Longread darauf auf, einen Leser vielleicht 15 Minuten zu fesseln und länger. Mehr Zeit auf der Website – mehr Vertrauen, vom Leser, aber auch von den Suchmaschinen.

6. So einen Content können nur die wenigsten schreiben

Das alles klingt sehr gut, aber es gibt einen kleinen Haken. Die Fähigkeit einen ausreichenden Longread zu schreiben, haben nicht viele. Wenn Sie ein Longread schreiben wollen, reicht es nicht einen mäßigen Text auf den dreifachen Umfang aufzubauschen.

Im guten Journalismus ist es bekannt, dass man nur so gut schreiben kann, wie man ein Thema versteht. Hier ist ein Grundmaß an Kompetenz und auch Einordnung des Themas gefragt. Im Grunde genommen sollte sich das von selber verstehen. Insbesondere beim Longread ist das die Grundvoraussetzung für gute Beiträge.

Hier sind ein paar Fakten beschrieben, die bei Erstellen von Longreads maßgeblich sind:
Die reine Arbeitszeit, die für einen Longread normalerweise benötigt wird, liegt ab 30 Stunden. Die Grundidee und die Struktur des Textes werden oft mehrmals geändert. Dazu kommen noch mehrere Stunden für Redaktion und Layouten.

Das Ganze ist natürlich auch sehr von den Autoren abhängig, aber eines ist klar: ein Longread benötigt viel Arbeit und das ist mehr, als die meisten Blogger und Texter, die zwei Texte pro Tag produzieren, anbieten können. Ohne Eintauchen in das Thema wird es kaum möglich sein.

7. Durchschnittliche „Texter-Überschriften“ werten Longreads ab

Bei den Überschriften werden noch zu oft Standard-Überschriften verwendet, die in der Machart sind wie: „10 Dinge, die Sie schon immer tun wollten…“ Das ist sicher für kleine Beiträge geeignet, aber beim Longread können sie dem Anspruch eher nicht gerecht werden.

Niemand mag es hier auch mit verfehlten Erwartungen in einen Text zu gehen. Die Leserschaft des Longreads ist es hier gewohnt viel zu lesen. Jeden Tag sehen sie viele Überschriften.

Longread ist kein Kampf um Klicks – man braucht dafür keine Standard-Formel für Überschriften.

Longreads erlauben es dem Leser in ein Thema einzutauchen, sich in eine Geschichte einzufühlen oder ihm Aspekte aufzuzeigen, die er nie vermutet hätte. Tricks, die man verwendet, um schnell eine Story zu entwerfen, werden kein Longread ermöglichen. Selbst wenn Sie es wirklich, wirklich versuchen.

8. Haben Sie eine wirklich große Geschichte?

Longread – das ist nicht ein langer Text, es ist eine große Geschichte.

Nicht jedes Thema eignet sich für ein Longread. Woran aber erkennt man es, ob es das Zeug zu einer großen Geschichte haben könnte?
Eine große Geschichte kann aktuelle, soziale, super-trendy und viele andere Aspekte beinhalten. Aber eine Beschreibung von Ereignissen, Porträts und persönliche Geschichten – das sind die drei Muster, die man am häufigsten im Journalismus verwendet und die sich auch für Longtails eignen. So was können Sie auch bei Content-Marketing bei der Themenauswahl nutzen.

Eine weitere Option kann es sein, ein paar kleine Geschichten sinnvoll in einen Zusammenhang zu bringen und dann als Longread zu publizieren. Sehen Sie wie die Pulitzer-Preisträgerin Ellen Barry einen Longread über „verschollenes Russland“ in der New York Times veröffentlicht hat: http://www.nytimes.com/newsgraphics/2013/10/13/russia/

Eine große Story?

Aber eine Beschreibung von Ereignissen, Porträts und persönliche Geschichten – das sind die drei Muster, die man am häufigsten im Journalismus verwendet und die sich auch für Longtails eignen

Smartphone Lesen. (c) Bildquelle: flickr / Claudio Alvarado Solari / CC BY 2.0
 

9. Longread – präzise sein und auf den Punkt bringen

Longread ist nicht nur ein langer Text. Der Umfang ist zweitrangig. Ein Longread ist keinesfalls ein Text, bei dem der Autor nur nicht alles kürzer beschreiben kann und ein Beitrag nur aus diesem Grund umfangreicher ausfällt. Diesen Texten würde es einfach an Tiefe fehlen.

Kurz in 30.000 Zeichen?! Ja, das stimmt, wenn es sich um einen Text von einem geschickten Autor handelt. Da bei einem unfähigen Autor diese erschöpfenden 30.000 durchaus in die 60.000 Zeichen ausdehnen würden.

Was bedeutet das für die Praxis eines Redakteurs bei der Erstellung eines guten Longreads? Amerikas einflussreichster Schreiblehrer und Autor Roy Peter Clark hat es in seinen „Die 50 Werkzeuge für gutes Schreiben“ beschrieben. Ein paar seine Empfehlungen sind hier aufgelistet:

  • keine Adverbien verwenden
  • keinen Überschuss von Adjektiven zulassen
  • aus drei verschiedenen Beiworten wählen das wirkungsvollste aus oder finden Sie ein anderes
  • Entfernen Sie einen Absatz, wenn er nicht zum Sinn und Verständnis beiträgt und nur dem Ausdruck dient
  • Vermeiden Sie Ausführungen, die an den Autor gebunden sind, sprich einen zu persönlichen Bezug aufweisen. Das ist eine Geschichte, die erzählt wird und keine Darstellung eines Egos

Diese Dinge sind ziemlich offensichtlich. Was nicht so offensichtlich ist: schreiben ist schwer, aber das Redigieren dreimal schwerer. In Longreads kann es nicht passieren, dass der Autor etwas schnell geschrieben hat, danach zweimal gelesen hat und kurz die Fehler korrigiert und es dann weitergegeben hat um Layout zu machen. Eine sorgfältige Bearbeitung, Umschreiben und Neuformulierung des Themas sind eine übliche Herangehensweise.

10. Verwenden Sie verschiedene Arten von Content

Wenn Sie ein gutes Thema im Kopf haben, das Sie gerne als Longread umsetzen würden, wie stellen Sie sich den Anfang beim Schreiben vor? Ist es ein leeres Blatt Papier oder ein gerade geöffnetes Dokument?

Oft gibt es keinen Plan für den Text. Es sind vielleicht Stichworte oder Bezugspunkte, die man aufschreibt. Es wäre aber besser die Quellen aufzuschreiben, die man noch lesen muss, die Orte, wo man noch suchen muss, und die Geschichten, die eine perfekte Darstellung Ihrer Meinung sein könnten. Genau durch solche Sachen wird einem Text Tiefe verliehen. Schreiben Sie hier unvermittelt los, kann ein Beitrag schnell beliebig und flach ausfallen.

Meistens wird mit Content so gearbeitet: der Autor schreibt ein Text, basierend auf dem, worüber er schreiben möchte.
Danach wird der fertige Text mit Videos, Bilder, Zitaten usw. aufgewertet. Jedes Element vervollständigt die Bedeutung und die Wahrnehmung der Geschichte. Multimedia-Inhalte sind nicht nur Abbildungen zum Text, sondern ein vollwertiger Teil des Beitrags, der oft speziell für ihn geschaffen.

Denken Sie nur an den Schneesturm als ein einleitendes Video zu „Snow-Fall“. Er ist keinesfalls zufällig gewählt worden.
Aber so einen aufwändigen Ansatz können sich nur die großen Medien leisten. Kleinere Websites müssen sich mit den Mitteln begnügen, die ihnen zur Verfügung stehen. Sie müssen sich sehr aufwändig um das inhaltlichen Teil kümmern und versuchen so ein Text zu schaffen, der Zuspruch beim Leser findet. Fehlende Multimedia-Inhalte bei einen Longread sind auf jedem Fall besser, als viele Bilder/Videos usw. gepaart mit einem schlecht geschriebenen Text.

Ein Longread kann aus beliebigen Contentarten bestehen:

  • Text: Zitate von Experten, Befürwortern oder Gegnern (hier gilt es ein breites Meinungsspektrum abzubilden), gegensätzliche Fragen, Augenzeugenberichten, historische Informationen oder auch wissenschaftlichen Daten, um nur einige Beispiele zu nennen
  • Video, Audio, Fotos und Bilder
  • Chat und Screenshots der Diskussionen
  • Infografiken
  • Karten

Hier sind bei der Themenauswahl keine Grenzen gesetzt.
Es sollten dabei nur die Inhaltstypen Verwendung finden, die für die Geschichte eine Bedeutung haben. Hier mit Bildern zu arbeiten, nur um den Leser zu unterhalten oder zum Lachen zu bringen, sollte wohlüberlegt sein.

11. Trennung der Textbereiche von den interaktiven Elementen

Beim Longread geht es auch darum die Sinne anzusprechen. Das Layout bietet hier eine sehr gute und unterstützende Möglichkeit dazu, da es den Leser klarer und besser durch den langen Text leitet. Das Layout entscheidet, wie viele Leute den Text bis zu Ende gelesen und verstanden haben. Hier scheint ein bestimmtes Paradox zu geben, weil wir ablenkende Inhalte benutzen, um das Lesen zu unterstützen.

Es ist tatsächlich so, dass beispielsweise Videoeinbindungen und auch andere Elemente eine Ablenkung darstellen. Man muss sehen, dass jedes hinzugefügte Element die Konzentration des Lesers stört. Jedes Element sollte deshalb wohl durchdacht integriert werden. Deshalb ist es aber auch wichtig diese Bereiche mittels Tools zu analysieren, um zu sehen, wo hier positive oder negative Effekte erzeugt werden und welches Element zum Beispiel am meisten den Lesern stört. Bei langen Texten ist es primär wichtig, dass Leser bis zum Ende interessiert bleiben.

Wenn wir die Longreads bekannter Verlage anschauen, kann man zwei Prinzipen sehen. Das Erste ist, dass die Anzahl von Elementen minimal, aber ausreichend sein soll. Das Zweite liegt darin, dass Lesen und interaktiver Content eine klare Abtrennung aufweisen. Zum Beispiel, The Guardian macht es ziemlich einfach: der gesamte Text bleibt in der mittleren Spalte, während Videos, Zitate und der Rest – außerhalb dieser Spalte sind. https://www.theguardian.com/science/2016/jan/07/therapy-wars-revenge-of-freud-cognitive-behavioural-therapy

12. Der richtige Anfang beim Longread weckt direktes Interesse (Der richtige Anfang ist am wichtigsten)

  • An diesem traditionellen viktorianischen Sommer waren die Häuser randvoll mit Fliegen…
  • 22. Juni 2015 ein pensionierter Schweizer Bankier im Alter von 44 Jahren, war zu Fuß durch die Straßen der Innenstadt…
  • Drei Jahre vor dem Referendum über den Austritt der UK aus der EU…
  • In den Slums der Stadt, in einem hügeligen Teil von Peru, Menschen sterben…
  • Es war 1994, und die Hälfte der Menschen, die sich dort versammelt haben, waren Kinder
  • Nachdem der Vulkanausbruch in einem Land, wo man immer noch an Trolle glaubt, hat den Luftverkehr für mehrere Wochen lahmgelegt, könnten die Europäer durch nichts mehr überrascht werden

So könnten die ersten Zeilen eines gelungenen Longreads aussehen. Eine mit interessantem Material angereicherte Geschichte, die zum Weiterlesen animiert. Geschichten sind typisch für Longreads und es ist genau diese Art vom Anfang der Texte, die von NY Times und Guardian für seine langen Texte ausgewählt werden.

In den oben benannten Beispielen sind folgende Verweise in einer Einleitung eingebettet, die dann zum gewünschten Effekt führen und die Neugier beim Leser erzeugen:

  • ein Hinweis auf die Vergangenheit: Jahre oder eine ganze historische Epoche
  • ein Hinweis auf bestimmte Menschen
  • ein Hinweis auf bestimmte Ereignisse
  • ein Verweis auf das Drama, das hinter der Geschichte stecken könnte

Es gibt auch einen Typ von Einleitungen, der garantiert ein Misserfolg wird. Das ist etwas Verallgemeinerndes, zum Beispiel wie: „In einer wachsenden Anzahl von heimischen Internet-Publikationen, sowohl gedruckt als auch online…“

Ein kostenloser Rat: das bloße Lesen von Schlagzeilen und ersten Abschnitte im Longread-auf Guardian wird Ihnen helfen besser zu schreiben und das Schreiben eines Longreads zu trainieren.

13. Verbindlich, authentisch und integer

Es wird oft so gemacht: man schaut sich Google-Trends und Keyword-Analysen an und wählt das Thema aus, das mit großer Wahrscheinlichkeit beim Publikum gut ankommen wird. Dann wird dieses Thema von einem Experten erläutert.

Tim Urban, der Autor des Blogs waitbutwhy.com setzt seine Longreads etwas anders um, und man könnte ihm glauben, da er schon ein Millionenpublikum in seinem Blog verdient hätte. Er versucht nicht die Vorlieben seines Publikums zu erraten, dafür umso mehr authentisch zu sein und sich auch immer treu bleibt, sprich eine gewisse Linie zu verfolgen. Zweitens versucht er nicht ein Bild von sich zu erzeugen, dass er über einen ausgewiesenen Expertenstatus verfügen würde. Tims Antwort ist seine persönliche Integrität.

Einer der wichtigsten Kriterien für den Leser ist das Interesse. Wir sind nicht an Leuten interessiert, die gewissermaßen auf uns herabblicken können. Wir werden nicht immer auf einen Top-Experten hören, dafür werden wir von einer Geschichte von einem angenehmen Menschen angezogen, der viel liest und denkt. Falls Sie kein Experte sind, machen Sie sich keine Sorgen und versuchen Sie nicht so auszusehen. Falls Sie ein Experte sind, vermeiden Sie Belehrungen.

14. Schreiben Sie nur, was Sie schreiben wollen

Entweder schreiben Sie so oder Ihnen kann das passieren, was viele professionelle Autoren schon erlebt haben – ein Burnout.

Content Marketing ist kein Sprint, sondern eher ein Dauerlauf. Sie tun Ihr Bestes, um ein Ergebnis zu erhalten, das nicht nur einen Tag oder einen Monat andauern wird. Dividenden von langfristigen Investitionen in Longreads sind so spürbar, dass es Ihre strategische Aufgabe ist die Arbeit so zu gestalten, um in der Lage zu sein, diese Strecke monatelang zu laufen, also Content in einer langen Form zu erstellen. Ich wäre kaum in der Lage mehr als drei Longreads zu schreiben, falls das Thema für mich nicht in meinem Interessenbereich liegt.

Sprint oder Dauerlauf?

Entweder schreiben Sie so oder Ihnen kann das passieren, was viele professionelle Autoren schon erlebt haben – ein Burnout.

Writer. (c) Bildquelle: flickr / Claudio Vandi / CC BY 2.0
 

Was Sie schreiben wollen muss nicht unbedingt das sein, was Sie verstehen. Das ist, worüber Sie froh sein werden, zu schreiben, was Sie interessieren könnte, das, woran Sie glauben oder aus bitterer persönlicher Erfahrung kennen. Alles, was etwas an Emotionen auslösen kann, passt.

Tim Urban hebt immer wieder hervor, dass wenn man über mehrere Tausend Worte schreibt, man selber unglaublich begeistert sein muss, um diese Aufregung an das Publikum bis zum letzten Wort zu übertragen. Langeweile spürt man. Falschheit ebenso. Deswegen schreibt Tim Urban für Elon Musk, und Sie nicht 😉

15. Stellen Sie Zweck und Ziel der Inhalte fest

Es geht nicht nur darum, was man dem Leser sagen will, sondern unter welcher Bedingungen Sie den Content anbieten.

Werden Sie den kostenlosen Zugriff erlauben oder werden Sie die Benutzer auffordern, etwas zu tun: seine E-Mail-Adresse zu hinterlassen, Blog-Newsletter zu abonnieren, um Updates, den Text in sozialen Netzwerken zu teilen, ins Gespräch (Chat) zu kommen? Abhängig vom Ziel muss im Voraus -entschieden werden, wo und wie alle Pop-ups, Anmeldeformulare und Tasten sich befinden werden.

Man sollte darüber auf jedem Fall im Vorfeld nachdenken. So lässt sich dann das Material so gestalten, dass es als Ganzes mit allen Elementen (wie Anmeldeformulare) wahrgenommen wird. In diesem Fall werden alle Pop-up-Fenster, Buttons und Felder gut platziert, um den Leser nicht zu irritieren.
Dies ist keine Landing-Seite, sie soll nicht den Leser an jeder Ecke mit dem Button: „lesen Sie den nächsten Absatz jetzt gleich!!!“ anspringen. Das Vertrauen vom Publikum, das viel liest und ständig vergleicht ist wichtiger, als zwingend ein wenig mehr Konversion.

16. Bearbeiten, auch nach der Veröffentlichung

Es geht nicht um die Beseitigung fehlender Kommas, sondern um den Sinn und die Wertigkeit von Text.

Das mag unerwartet für Blogger und kommerziellen Autoren erscheinen, aber Sie erhalten viele Vorteile, wenn Sie die Korrektur nach der Veröffentlichung des Textes vornehmen.

Erstens, es kann sein, dass Kommentare abgegeben werden, die wiederum sehr förderlich sein können. Manchmal können sie so wertvoll sein, dass deren Einschließung in den Beitrag (als Expertenmeinung), die Wertigkeit des Textes enorm steigern kann.

Zweitens, Longread arbeitet für eine lange Zeit, deswegen ist durch die fortwährende Verbesserung des Materials, immer auch eine Zunahme der Leser möglich.

Drittens, das Thema könnte sich mit der Zeit entwickeln und Ihr Beitrag nicht mehr so aktuell sein. Falls Ihren Beitrag erfolgreich war, könnte es sich lohnen, ihn auf dem aktuellen Stand zu halten. Zum Beispiel, Sie haben ein Longread über die Arbeit mit Kundendaten geschrieben – Sie haben alle Details beschrieben, viele Beispiele gesammelt, Gesetzgebung beschrieben und die besten Services und Tools gezeigt. Der Text wurde hunderte Mal geteilt, hat Hunderte von Kommentaren gesammelt und wurde der erfolgreichste Beitrag in Ihrem Blog. 2 Wochen später wurde aber das Gesetz über die Persönliche Daten etwas geändert. Sollen Sie also ein nicht mehr relevantes Material begraben? Höchstwahrscheinlich sind die Veränderungen nicht so sehr umfangreich, um einen neuen Artikel darüber zu schreiben. In diesem Fall wäre die Idee das vorhandene Material zu ändern schon sehr sinnvoll. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Sie die Leser über die Aktualisierung von Informationen in sozialen Netzwerken informieren können und auf der Welle der frischen Nachrichten eine beträchtliche Anzahl von zusätzlichen Lesern gewinnen könnten.

Viertens, wenn Sie eine erweiterte Analyse über das Verhalten der Leser machen, können Sie ganz gezielt das Layout oder den Text selbst ändern, um den Prozentsatz der Leute, die den Text bis zum Ende gelesen haben, zu erhöhen. So eine detaillierte Änderung ist immer dann sinnvoll, wenn die Anzahl der Aufrufe immer noch schnell wächst oder Sie planen, weitere Werbungsmaßnahmen zu unternehmen. Schauen Sie einfach, bei welchem Element des Beitrags Sie die meisten Leute verlieren und bearbeiten Sie diesen Teil.

Der Rat über Bearbeitung ist genauso nützlich, wie er gefährlich sein kann. Man muss wissen, wann man aufhört. Und wenn Sie eine sehr begrenzte Zeit für die Autorenarbeit haben, ist es besser, sich mit der Schaffung neuer Themen zu beschäftigen. Verbesserung wäre normalerweise nur für die besten Texte (laut Analytik-Tool) sinnvoll, anstatt kleine Änderungen mit einem oder zwei Sätzen in jedem Beitrag vorzunehmen. Zweckmäßigkeit ist der Schlüssel zu allem.

Veröffentlicht in: Content-Marketing, am: 20 April 2017 | No Comments
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